Kletterer mit Handicap wollen hoch hinaus
In der „Kletterei” in Kaufering findet man in der Regel Sportler – schwindelfrei und vor allem topfit-, die sich, nur aus eigener Körperkraft, in luftige Höhen von 15 Metern wagen. Doch jeden ersten Samstag im Monat sind auch noch andere Sportler in der Halle vertreten: diejenigen, die in irgendeiner Weise körperlich oder geistig eingeschränkt sind. Auch sie meistern die Routen in der Kletterei – allerdings ganz spezielle. Denn vor einigen Wochen wurden hier drei inklusive Kletterrouten eröffnet. Diese Routen zeichnen sich dadurch aus, dass besonders viele Greif- und Trittmöglichkeiten in kleineren Abständen zueinander gibt. Somit ist eine solche Route leichter zu klettern. Die neuen inklusiven Routen werden am ersten Juli-Wochenende von fünf Kletterern inspiziert. Doch zuerst macht Barbara Letzner vom DAV Landsberg, Initiatorin des inklusiven Kletterns, ein paar Aufwärmübungen: marschieren, Arme schütteln oder Schulter kreisen. Manche Aufgaben fallen den Kletterern schwer. Mit Übungs-Variationen sind dann aber alle aufgewärmt und es geht an die Wand.
Ein Gefühl von früher
Jeder Kletterer mit Handicap wird von einem Mitglied eines DAV-Vereins gesichert. Einer der Kletterer ist Matthias. Seit Anfang 2000 war er als Alpin-Kletterer an verschiedensten Felswänden unterwegs aber auch manchmal in der Halle. Vor acht Jahren erhielt er dann die Diagnose Multiple Sklerose. “Das war eine heftige Umstellung”, erzählte er. Als Ergänzung zu seiner Krankengymnastik habe er dann in der Kletterei angefangen – das war 2019. Seitdem kommt er ein- bis zweimal pro Monat und versucht sich an den Routen. “Es ist schön, weil ich jetzt wieder was von früher machen kann”, resümiert der Kletterer. “Es gibt ja genug, was ich nicht mehr kann.”
Während die einen an der Wand „kraxeln”, tauschen sich die anderen auf dem Boden mit Letzner und den anderen DAV-Mitgliedern über die Routen aus. Was ist gut, was ist zu schwer oder zu leicht? Mit dabei ist oft auch der Routensetzer der Kletterei, Max Schwenk. Er passt die Routen dann auf Basis des Feedbacks der Kletterer an. Einen „therapeutischen Auftrag haben die DAV-Mitglieder, die hier dabei sind, nicht, wie Letzner erklärt: ,,Wir haben auch keine therapeutische Ausbildung – das ist Spaß-Klettern.” Und Spaß macht es auch allen Beteiligten: Eine ,Klientin’, die eine geistige Behinderung hat, fetzt die inklusiven Routen rauf und runter, als hätte sie nie etwas anderes getan. ,,Sie ist wahnsinnig schnell”, erklärt Jana, Mutter eines anderen Kletterers. Sie geht auch jeden Tag zu Fuß von Landsberg nach Kaufering.” Jana ist die Mutter vom 16-jährigen Sebastian (Basti). Er hatte mit 13 Monaten einen Hirntumor, der mit OP, Chemo und Bestrahlung behandelt werden musste. Zwölf Jahre später: Epilepsie – ein Schaden, ausgelöst durch die Bestrahlung. Teile seines Gehirns sind beschädigt, was man zwar im Gespräch nicht merkt. ,.Aber man kann ihn nicht alleine lassen”, sagt Jana. Vergesslichkeiten wie ein angelassener Herd oder aber Anfälle stünden auf der Tagesordnung. Trotzdem gehe es der Familie „soweit gut”. Und das Klettern in Kaufering sei eine schöne Abwechslung. Man wird daran erinnert, wie dankbar man sein sollte, wenn man gesund ist”, hört man aus einem Gespräch, während die Kletterer nach zwei Stunden zufrieden ihre Sachen zusammenpacken.
sn – Landsberger Tagblatt | Landkreis | 19. Juli 2023 | Seite 11